Polymyalgia rheumatica (PMR)

Die Polymyalgia rheumatica (PMR), im Volksmund auch entzündliches Weichteilrheuma genannt, ist eine entzündlich-rheumatische Systemerkrankung, bei der sich das Immunsystem gegen den eigenen Körper richtet, weshalb man auch von einer Autoimmunerkrankung spricht. Das Immunsystem unterteilt sich in eine unspezifisch angeborene und eine spezifisch erworbene Abwehr. Sowohl die unspezifische als auch die spezifische Abwehr beinhalten zelluläre Bestandteile (z. B. weiße Blutkörperchen) und humorale (z. B. Antikörper). Bei der PMR kommt es zu einer vermehrten Aktivierung zellulärer Bestandteile der unspezifischen Immunabwehr (Makrophagen) und spezifischen Abwehr (T-Zellen). Das führt zu entzündlichen Veränderungen an Schulter- und Hüftgelenken sowie der benachbarten Weichteilstrukturen (Schleimbeutel). Dies ist mit einem schweren, allgemeinen Krankheitsgefühl, ausgeprägter Morgensteifigkeit, muskelkaterartigen Schmerzen und Schwäche der Nacken-Schulter- sowie Becken-Oberschenkelmuskulatur verbunden. Der Begriff »Polymyalgia rheumatica« leitet sich auch vom eben beschriebenen Beschwerdebild her: aus dem Griechischen übersetzt bedeutet poly »viele« und myalgia »Muskelschmerz«. Die PMR wurde erstmals 1888 von dem schottischen Arzt William Bruce als senile rheumatic gout (senile rheumatische Gicht) bezeichnet. Der heutzutage anerkannte Begriff »Polymyalgia rheumatica« wurde hingegen erst deutlich später, nämlich im Jahr 1957, durch den britischen Arzt Stuart Barber eingeführt.

Wie häufig ist die Polymyalgia rheumatica?

Die PMR ist eine Erkrankung des älteren Menschen mit einem Lebensalter von mindestens 50 Jahren und einem Erkrankungsgipfel zwischen dem siebzigsten und achtzigsten Lebensjahr. Frauen sind zwei- bis dreifach häufiger betroffen als Männer. Im Vergleich zu Europäern tritt die PMR bei Asiaten, Afroamerikanern und Latinos seltener auf. Innerhalb Europas ist ein Nord-Süd-Gefälle zu beobachten: so erkranken jährlich von 100.000 Einwohnern zwischen 113 in Norwegen und 13 in Italien.

Was sind Ursachen der Polymyalgia rheumatica?

Die Ursachen für die Autoimmunreaktion des Körpers bei der PMR sind nach wie vor unklar. Bei der Krankheitsentstehung scheinen genetische, immunologische, infektiologische und Umweltfaktoren eine entscheidende Rolle zu spielen. Die PMR ist nicht ansteckend und wird nicht vererbt, auch wenn vereinzelt familiäre Häufungen beobachtet werden.

Wie macht sich die Polymyalgia rheumatica bemerkbar?

PMR-Patienten berichten über einen oftmals raschen, teilweise aber auch schleichenden Krankheitsbeginn mit schwerem, allgemeinen Krankheitsgefühl (Abgeschlagenheit, Fieber, Nachtschweiß und ungewollter Gewichtsverlust), einer ausgeprägten Morgensteifigkeit der Muskulatur und Gelenke von mindestens 45 Minuten sowie muskelkaterartigen Schmerzen und Schwäche der Nacken-Schulter- und Becken-Oberschenkelmuskulatur. Genannte Beschwerden können so stark ausgeprägt sein, dass PMR-Patienten Schwierigkeiten haben, morgens aus dem Bett zu kommen, sich anzuziehen, zu waschen oder vom Stuhl aufzustehen.

Andere Erkrankungen mit ähnlichen Beschwerden

Polymyalgisches Syndrom

Bei Patienten unter 50 Jahren oder mit fehlendem Ansprechen auf eine adäquate PMR-Therapie müssen anderweitige Ursachen gesucht werden. Hier sind insbesondere entzündlich-rheumatische Gelenkerkrankungen (Rheumatoide Arthritis, Kristallarthropathien), Gefäßentzündungen (Vaskulitis) oder bösartige Neubildungen (Karzinome) zu nennen.

Riesenzellarteriitis (RZA)

Die RZA, auch Arteriitis temporalis oder Morbus Horton genannt, ist eine Vaskulitis der großen und mittleren Arterien, vor allem der Äste der oberen Hauptschlagader (Aorta) wie zum Beispiel der äußeren Halsschlagader mit der Temporalarterie. RZA-Patienten berichten meist über PMR-typische Beschwerden verbunden mit Kopfschmerzen, vor allem in der Schläfenregion, Kau- und Schluckschmerzen. Kommen Sehstörungen hinzu, muss unverzüglich eine Therapie eingeleitet werden, da ansonsten die Erblindung droht. Die RZA ist ein rheumatologischer Notfall.

Rheumatoide Arthritis, Gicht oder Pseudogicht

Kommt es zusätzlich zu den oben aufgeführten, typischen PMR-Beschwerden zu Gelenkschwellungen muss an eine Rheumatoide Arthritis (RA) oder aber Kristallarthropathie mit polymyalgischem Syndrom gedacht werden (Arthritis urica = Gicht oder Calciumpyrophosphatdihydrat-Arthritis = Pseudogicht). Dies ist insofern wichtig, als sich die Therapie dann anders gestaltet.

Fibromyalgie

Die Fibromyalgie, im Volksmund auch nicht-entzündliches Weichteilrheuma genannt, welches mit diffusen Muskel- und Gelenkschmerzen ähnliche Beschwerden wie die PMR verursachen kann, ist in der Regel gut vom entzündlichen Weichteilrheuma abgrenzbar. Im Gegensatz zur PMR sind bei der Fibromyalgie die Entzündungswerte im Blut nicht erhöht.

Wie wird die Diagnose der Polymyalgia rheumatica gestellt?

Werden PMR-ähnliche Symptome durch den Patienten oder betreuenden Hausarzt bemerkt, sollte, wenn möglich ein Spezialist, d. h. in diesem Fall ein internistischer Rheumatologe, aufgesucht werden. Dieser wird dann die notwendigen Untersuchungen veranlassen. Zunächst wird der Rheumatologe den Patienten nach seinem allgemeinen Gesundheitszustand befragen (Anamnese). Dazu gehört das Erfragen von allgemeinen und speziellen Beschwerden, Vorerkrankungen sowie der aktuellen Medikation. Anschließend erfolgt die körperliche Untersuchung, Blutuntersuchung und der Ultraschall (Sonographie) des Bewegungsapparates. In Zusammenschau aller vorliegenden Befunde kann dann der Rheumatologe die PMR klassifizieren, vorausgesetzt die Klassifikationskriterien sind erfüllt. Zu erwähnen ist hierbei, dass Klassifikationskriterien (die für Studienzwecke erarbeitet wurden) nicht mit Diagnosekriterien zu verwechseln sind.

Klassifikationskriterien

Die PMR wird mit Hilfe der Klassifikationskriterien aus dem Jahr 2012 klassifiziert, welche durch das American College of Rheumatology (ACR) und der European League Against Rheumatism (EULAR) provisorisch erarbeiteten wurden.

Die Voraussetzungen zur Anwendung der Klassifikationskriterien sind ein Alter des Patienten von mindestens 50 Jahren mit neu aufgetretenen Schulterschmerzen, erhöhten Entzündungswerten im Blut und fehlenden Hinweisen auf eine andere, die Beschwerden erklärende Erkrankung.

Die zur Klassifikation führenden Punkte ergeben sich wie folgt und werden addiert:

  • Morgensteifigkeit der Muskulatur und Gelenke für eine Dauer von mindestens 45 Minuten (zwei Punkte)
  • eingeschränkte Beweglichkeit oder Schmerzen des Hüftbereichs (ein Punkt)
  • fehlender Nachweis von Rheumafaktoren (RF) oder Antikörper gegen citrullinierte Peptide / Proteine (ACPA) (zwei Punkte)
  • fehlende Schmerzen anderer Gelenke (ein Punkt)
  • mittels Sonographie durchgeführter Nachweis entzündlicher Veränderungen in mindestens einem Schulter- UND einem Hüftgelenk und / oder in einem benachbarten Schleimbeutel und / oder in einer Sehne (lange Bizepssehne; insgesamt ein Punkt)

 

Werden mindestens vier (ohne Sonographie) bzw. fünf Punkte (mit Sonographie) erreicht, kann mit einer Sensitivität von 68 % (mit Ultraschall 66 %) und einer Spezifität von 78 % (mit Ultraschall 81 %) eine PMR klassifiziert werden.

Ein weiterer, allerdings nicht für die Klassifikationskriterien relevanter Hinweis für das Vorliegen einer PMR ist die rasche Beschwerdebesserung auf die Gabe systemischer Steroide (Kortison).

Wie wird die Polymyalgia rheumatica behandelt?

Medikamente

Die PMR wird in der Regel mit Kortison, beginnend mit einem Prednisonäquivalent zwischen 12,5 und 25 mg täglich, behandelt. Höhere Dosierungen sind nur in besonderen Situationen notwendig.

Die Anfangsdosis ist abhängig von zahlreichen Faktoren, wie dem Vorhandensein von Risikofaktoren für einen Rückfall (weibliches Geschlecht, sehr hohe Entzündungswerte im Blut oder Gelenkschwellungen) oder von relevanten Vorerkrankungen, wie zum Beispiel Bluthochdruck, Diabetes, Osteoporose, Glaukom (grüner Star) oder Katarakt (grauer Star). Eine rasche und anhaltende Beschwerdebesserung sowie normwertige Entzündungswerte im Blut vorausgesetzt, sollte der PMR-Patient innerhalb von circa vier bis acht Wochen eine Kortisondosis mit einem Prednisonäquivalent von 10 mg täglich erreicht haben. Anschließend wird das Kortison langsamer ausgeschlichen, meist um 1 mg Prednisonäquivalent Tagesdosis monatlich, und schließlich abgesetzt. Voraussetzung für das hier aufgezeigte Vorgehen ist stets, wie bereits erwähnt, die Beschwerdefreiheit des PMR-Patienten sowie normwertige Entzündungswerte im Blut. Die Kortison-Therapie sollte über einen Zeitraum von mindestens zwölf Monaten durchgeführt werden.

Im Falle eines Rückfalls (Rezidiv), muss die Kortisondosis erneut erhöht werden, und zwar auf die Dosis, bei welcher der PMR-Patient zuletzt beschwerdefrei und die Entzündungswerte im Blut normwertig waren. Zudem sollte in dieser Situation bzw. schon beim Vorhandensein von Risikofaktoren für ein Rezidiv (siehe oben) oder von relevanten Vorerkrankungen (siehe oben) frühzeitig an den Beginn einer kortisonsparenden Therapie (Basistherapie), meist Methotrexat, gedacht werden.

Insbesondere bei PMR-Patienten ist eine ausreichende Kalzium- und Vitamin D-Zufuhr zur Osteoporoseprophylaxe wichtig (s.a. unten: „Allgemeinmaßnahmen durch den Patienten und die betreuenden Ärzte“). Grund hierfür ist nicht nur die entzündlich-rheumatische Systemerkrankung selbst, sondern vor allem die langdauernde Kortisontherapie. Um zu ermitteln, ob neben der ausreichenden Kalzium- und Vitamin D-Zufuhr eine zusätzliche medikamentöse Therapie notwendig ist, ist es erforderlich, eine sogenannte Knochendichtemessung (üblicherweise mittels DXA-Verfahren) durchführen zu lassen. Diese wird durch den betreuenden Hausarzt oder Rheumatologen veranlasst.

Allgemeinmaßnahmen durch den Patienten und die betreuenden Ärzte

■ Regelmäßige Kontrollen beim Hausarzt und Rheumatologen zur Beurteilung der Krankheitsaktivität, Therapieüberwachung und Optimierung der kardiovaskulären Risikofaktoren (Blutdruck, Blutfette, Blutzucker, usw.)

■ Bedarfsweise psychosomatische oder psychotherapeutische Mitbetreuung

■ Austausch mit anderen Betroffenen (Selbsthilfegruppen)

■ Vermeidung von Übergewicht (Adipositas)

■ Ausgewogene Ernährung (z.B. mediterrane Kost)

■ Ausreichende Kalzium- und Vitamin D-Zufuhr zur Osteoporoseprophylaxe

■ Alkohol nur in Maßen

■ Verzicht auf Nikotin

■ Ausreichender Sonnenschutz (entsprechende Bekleidung, Sonnenschutzcrème mit mindestens Lichtschutzfaktor 30)

■ Regelmäßiger, aerober Ausdauersport (z. B. dreimal wöchentlich à 30 Minuten)

■ Bedarfsweise ergo- oder physiotherapeutische Maßnahmen

Impfungen

Entsprechend den Empfehlungen der Ständigen Impfkomission (STIKO) sind Impfungen vor allem bei Patienten mit entzündlich-rheumatischen Systemerkrankungen, wie der PMR, von hoher Wichtigkeit, um das krankheitsassoziierte Infektionsrisiko zu senken. Einschränkungen gibt es lediglich bei der Verwendung von Lebendimpfstoffen (Impfung z. B. gegen Masern, Mumps, Röteln, usw.). Diese sind kontraindiziert bei denjenigen PMR-Patienten, die eine immunmodulatorische Therapie erhalten. Ausgenommen hiervon sind PMR-Patienten, die Kortison mit einem Prednisonäquivalent von weniger als 20 mg täglich einnehmen. Totimpfstoffe (Impfung z. B. gegen Tetanus, Diphtherie, Pertussis, Polio, Humanes Papillomavirus, Pneumokokken, Influenza, Hepatitis, FSME, Zoster, usw.) stellen hingegen kein Problem dar. Vor Beginn einer Therapie ist es daher unbedingt erforderlich, den Impfstatus auf den neuesten Stand zu bringen.

Behandlung in besonderen Situation

Bei Fernreisen, Infekten oder anstehenden Operationen sollten PMR-Patienten wenn möglich immer Kontakt mit ihrem behandelnden Rheumatologen aufnehmen, da die Therapie gegebenenfalls entsprechend angepasst werden muss.

Verlauf und Prognose der Polymyalgia rheumatica

Circa 50 –70 % der PMR-Patienten sind nach abgeschlossener Therapie beschwerdefrei – ohne Medikamente. Die Rheumatologen sprechen hierbei von einer „medikamentenfreien Remission“. Anzumerken ist, dass PMR-Patienten mit nur kurzer Kortison-Therapie (das heißt weniger als zwölf Monate) ein höheres Risiko für einen Rückfall (Rezidiv) haben. Im Vergleich zur Normalbevölkerung haben PMR-Patienten unter adäquater Therapie keine erhöhte Sterblichkeit. Somit ist die PMR – wenn sie früh erkannt und engmaschig kontrolliert wird - in den meisten Fällen eine gut behandelbare Erkrankung.

Nützliche Adressen & Links

Berufsverband Deutscher Rheumatologen e.V.
E-Mail: sekretariat@bdrh.de
Internet: www.bdrh.de

 

Deutsche Rheuma-Liga Bundesverband e.V.
Maximilianstraße 14
53111 Bonn
Tel: 0228 / 76606-0
Fax: 0228 / 76606-20
Internet: www.rheuma-liga.de

 

Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie e.V.
Geschäftsstelle
Luisenstraße 41
10117 Berlin
Tel: 030 / 24048470
Fax: 030 / 24048479
Internet: www.dgrh.de oder www.rheumanet.org

Literatur & Referenzen

Dejaco C, Singh YP, Perel P, et al. 2015 Recommendations for the management of polymyalgia rheumatica: a European League Against Rheumatism/American College of Rheumatology collaborative initiative. Annals of the Rheumatic Diseases 2015; 74: 1799 – 1807.

Eular Textbook on Rheumatic Diseases, Johannes WJ Bijlsma and Eric Hachulla. 754 – 778. BMJ. 2015. United Kingdom. ISBN-10: 0727919245.

https://www-uptodate-com.kb.ezproxy1.sg.ch/contents/clinical-manifestations-and-diagnosis-of-polymyalgia-rheumatica?search=polymyalgia%20rheumatica&source=search_result&selectedTitle=1~88&usage_type=default&display_rank=1

https://www-uptodate-com.kb.ezproxy1.sg.ch/contents/treatment-of-polymyalgia-rheumatica?search=polymyalgia%20rheumatica&source=search_result&selectedTitle=2~88&usage_type=default&display_rank=2#H23

In diesem Text wird der Einfachheit halber zumeist die männliche Form verwendet. Die weibliche Form ist dann in diesen Fällen selbstverständlich mit eingeschlossen.

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